Achtsamkeit und schwierige Gefühle

Wenn wir unseren Gefühlen mit Achtsamkeit begegnen wollen, hören wir oft, dass alle Gefühle erst mal da sein dürfen, wir sie nicht wegdrücken, sondern sie eher „nur” zur Kenntnis nehmen sollen. Tja, gar nicht so einfach Gefühle nur zur Kenntnis zu nehmen, denn sie sind ja begleitet von einer gewissen Energie, die es manchmal fast unmöglich macht, nicht impulsiv und sofort zu reagieren, z.B. wenn das Gefühl Wut ist. Wut ist ja eine starke Antriebskraft und will sich irgendwie gleich in einer Handlung ausdrücken. Ein bisschen Wut ist ja manchmal ganz gut, um sich behaupten zu können oder um sich abgrenzen zu können, aber wie kann ich denn dieses Gefühl einfach nur da sein lassen, ohne gleich zuzuschlagen (zumindest verbal oder den Tisch).?

Ich finde es einen hilfreichen Tipp zu sagen es geht um ein geduldiges Sein mit einem Gefühl. Geduldiges Sein mit etwas bedeutet ja, dass ich das was gerade da ist (z.B. die Wut) nicht weg machen muss, es aber auch nicht größer machen muss und es auch nicht für immer dableiben muss. Ich kann eine Weile mit dem Gefühl sein, ihm einen Platz geben, einen Raum öffnen und es annehmen wie ein Kind, das meine Aufmerksamkeit haben will und es dann auch wieder ziehen lassen.

Geduldiges Sein mit einem Gefühl

Solange das Gefühl da sein will, kann es da sein, wie ein Besucher, dem ich ein Glas Wasser anbiete und dem ich nicht die Tür vor der Nase zumache.

Das beinhaltet ja auch das Wissen, dass nichts für immer ist und Gefühle kommen und gehen. Das kann helfen, dass Gefühle nicht so bedrohlich wirken müssen, da sie ja nicht für immer sind, sondern flüchtiger Ausdruck meiner Seele. Wenn ich mir immer wieder klar darüber werde, dass auch Gefühle wie das Wetter sind-sich also ständig verändern, kann ich sie vielleicht leichter annehmen. Nach Regen kommt vielleicht strahlende Sonne und manchmal Nebel, Bewölkung, glitzernder Schnee oder warmer Sommerwind. Manchmal auch  innerhalb eines Tages.

Obwohl ich das alles weiß und jeden Tag meditiere, finde ich es doch mitunter schwierig, wenn bestimmte Gefühle sich melden. Nehmen wir das Beispiel Nervosität. Es gibt ja 1001 Gründe dafür nervös oder ängstlich zu sein und jeder Mensch hat seine eigenen. Vielleicht eine Aufgabe, die Du noch nie gemacht hast, ein erstes Date, eine Präsentation vor vielen Menschen, ein unangenehmes Gespräch, eine Operation, eine Prüfung, eine große Veränderung im Leben oder einfach nur eine anstehende Flugreise.

Am liebsten möchtest Du vielleicht weglaufen und dieses Gefühl nicht spüren. Vielleicht willst Du auf keinen Fall nervös sein, weil es peinlich ist oder hinderlich bei einer Präsentation oder Prüfung bei der Du souverän und kompetent wirken willst. Oder lächerlich wegen einer Flugreise nervös zu sein.

Man kann nicht gegen seine Gefühle ankämpfen-das ist Schattenboxen oder ein Kampf gegen sich selbst, denn die Gefühle sind ja ein Teil von Dir. In einem achtsamen Annähern an ein unangenehmes Gefühl könnte man es erst einmal anschauen und sich selbst sagen ” aha da ist jetzt ziemliche Nervosität”! So bleibst Du offen für alles was sich nun mal in dem jeweiligen Moment zeigt. Die Realität des gegenwärtigen Augenblickes anerkennen und nicht darüber hinweg gehen. Es muss gar nicht zu einer großen Sache gemacht werden, lediglich innehalten und das Gefühl kurz benennen kann in vielen Augenblicken ausreichen.

Sobald Du einen Namen für das Gefühl gefunden hast, entsteht sofort mehr Struktur und es muss nicht so vehement an Deine Tür klopfen. Manchmal ist es auch ein Wust an Gefühlen, die wir gar nicht so genau benennen können. Zu Beginn reicht es dann zu sagen, aha da sind starke Gefühle, mal schauen was es ist. Die Frage in der Achtsamkeit ist ja immer “was ist jetzt?”

Ich stelle fest, dass es mir sehr hilft zu atmen und das Gefühl zu benennen, weil es dadurch einen Platz bekommt. Ich sage mir dann z.B. “aha da ist jetzt gerade ein Gefühl von Wut/Nervosität/Trauer/Stress/Bosheit/Ärger/Angst usw. usw. – interessant”.

Wenn gleich Bewertungen hinterher kommen wie „das darf jetzt nicht sein“ „ist doch peinlich“, „will ich nicht haben“ und dergleichen, versuche ich mir auch dieser Bewertungen bewusst zu werden und sie nicht weiter zu nähren. Letztendlich sind es nicht die Gefühle, die uns das Leben schwermachen, sondern die Bewertungen über unsere Gefühle. Vielleicht gibt es gar keine negativen Gefühle, sondern nur negative Bewertungen über bestimmte Gefühle…

Alle Gefühle gehören zu uns und machen unsere Lebendigkeit aus. Genieße Dein Herzklopfen habe ich gestern in einem Beitrag gelesen. Ja genau, auch mein aufgeregtes Herzklopfen gehört zu mir 😊

Es braucht etwas Übung um in Kontakt mit den unterschiedlichen Gefühlsqualitäten zu kommen, da wir das häufig nicht gelernt haben. Streng Dich dabei nicht an, denn dann bist Du gleich raus aus dem Fühlen. Verbinde Dich über den Atem mit Deinem Körper-er zeigt Dir den Weg..